Montag, März 06, 2006

In den Fängen der Schlaflosigkeit

Als ich mir vorgestern gegen halb fünf die zweite Tasse eines Kaffees zu Gemüte führte, der die Hufeisenprobe locker bestanden hätte, dachte ich noch: keine gute Idee, das. Da ich aber schon immer ein Händchen dafür hatte, die Stimme der Vernunft in mir zum Schweigen zu bringen, kam es dann nachts, wie es kommen mußte.
[Zeitsprung]

Irgendwann (es mag kurz nach zwei gewesen sein) war ich es leid, in die Dunkelheit zu stieren und habe mein Laptop angeworfen, um mir die Zeit bis zum Eintritt der schmerzlich vermißten Bettschwere im Internet zu vertreiben. Ich mußte jedoch sehr schnell feststellen, daß ich dafür zu müde war- leider trotzdem nicht müde genug... also wieder zurück ins Bett und den Fernseher angemacht. Von da an nahm das Grauen seinen Lauf.
24 Sender. Öffentlich-rechtlich, privat, teils mit Schwerpunkt auf Nachrichten oder Sport. Man sollte meinen, daß bei dieser Auswahl eigentlich immer etwas leidlich Interessantes gesendet wird. Aber, liebe Freunde: das ist ein Irrtum! Selbst die sonst so zuverlässige Space Night läßt mich im Stich; statt dessen bringt der BR im Gedenken an den Tod von Annette von Aretin eine Was bin ich?-Nacht. Nachdem ich zwanzig Minuten rumgezappt habe und dabei nicht seltener als fünfzehn mal an besagter Retro-Horrorshow vorbeigekommen bin, erliege ich der hypnotischen Kraft, die geballtes Spießbürgertum zu meiner eigenen Überraschung auszustrahlen scheint, und bleibe bei Robert 'Welches Schweinderl hätten's gern' Lembke hängen. Der Wecker steht jetzt auf 02:58 Uhr.
Zu diesem Zeitpunkt geht gerade eine Ausgabe von Was bin ich? zu Ende. Lembke verabschiedet sich von seinen Zuschauern mit den Worten: "Ich hoffe, Sie haben sich ein klein bißchen unterhalten."- ein Relikt aus der Zeit, als es nur drei Kanäle gab und man sich gezwungenermaßen jeden Scheißdreck angesehen hat, um nur ja nicht miteinander reden zu müssen. Der Abspann geht nahtlos in den Vorspann der nächsten Ausgabe über, und nach ein paar Kalauern, ob deren Flachheit mir augenblicklich schlecht wird, kommt der erste Gast: ein Seh- und Reaktionstester, der im Auftrag der Deutschen Verkehrswacht durch die Lande tingelt und kostenlose Eignungstests für Autofahrer anbietet. Eine Ausbildung hat er nicht, Papierkram muß er auch nicht erledigen (die Verkehrswacht setzt auf die Vernunft der Leute, sich nach einem schlechten Abschneiden nicht mehr hinters Steuer zu klemmen), aber ein festes Gehalt bekommt er. Das waren eben noch Zeiten. Als Ratefüchsin Anneliese Fleyenschmidt von diesen Bedingungen hört, entfährt es ihr spontan: "Ja, arbeiten Sie eigentlich überhaupt etwas für Ihr Geld?!"- diese Frage ist auch mir sofort durch mein gequältes Gehirn geschossen.
Danach betritt eine Frau aus Wien das Studio. Sie ist Schlossermeisterin; diese Kombination (Frau und Handwerk) wird von der Redaktion offensichtlich als ausreichend abwegig für Was bin ich? empfunden. Die Wienerin ist mit der Vorstellung, von Millionen von Menschen auf dem Bildschirm gesehen zu werden, völlig überfordert und macht ein Gesicht wie ein Reh, das auf einer nächtlichen Landstraße unvermutet in den Scheinwerferkegel eines Autos geraten ist. Nach jeder Frage des Rateteams blickt sie hilfesuchend zu Lembke, der sie irgendwann väterlich erinnert: "Sie dürfen ruhig auch selbst antworten!". Falls ich ihre Körpersprache nicht gänzlich falsch interpretiere, ist das der Moment, in dem sie sich einnäßt.
Der dritte Gast ist ein Champignon-Züchter aus der Schweiz. "Kann ich das Produkt, welches Sie herstellen, an meinem Körper zur Anwendung bringen?", fragt Annete von Aretin ("Gehe ich recht in der Annahme," schiebt Ratefuchs Christian Zacke hinterher "daß Sie Gesichtsmassagestäbe herstellen?"). Einige Minuten später löst Hans Sachs das Rätsel; er war immerhin Oberstaatsanwalt. Um dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gerecht zu werden, gibt es nun einen kurzer Einspieler aus dem Betrieb des Schweizers zu sehen. Gleich in der ersten Einstellung huscht eine Katze durch den Bildvordergrund. "Frißt die Katze auch Champignons?" erkundigt sich Lembke in dem aufgeregt-amüsierten Tonfall, der ganz großes Unterhaltungsfernsehen verheißt. Der Schweizer schweigt.
"Das Katzerl, was da grad durchs Bild g'rannt is- g'hört das Ihnen?"
"Ja."
"Und frißt das auch Champignons?" versucht es Lembke erneut. Wieder beharrliches Schweigen. Vor meinem geistigen Auge reißt Lembke eine Knarre aus der Tasche, preßt sie dem Schweizer brutal an die Schläfe und herrscht ihn an: "The cat, motherfucker- does it eat mushrooms?!". In Wirklichkeit läßt Lembke die Chance auf eine cineastische Pointe jedoch ungenutzt verstreichen- vielleicht auch deshalb, weil der entsprechende Film erst zwanzig Jahren später gedreht werden wird- und bittet die Ratefüchse, ihre Masken aufzusetzen: jetzt wird der Stargast seinen Platz einnehmen.
Und wer kommt da durch die Schwingtür? Es ist... Heino. Ehrlich wahr. Und wieder löst Hans Sachs, worauf die Runde zu geselligem Plausch übergeht und den prominenten Besucher, dessen Musik nach Aussage Lembkes " Jung und Alt begeistert", eindringlich bittet, sich auf keinen Fall von den Schmähungen einiger weniger Banausen beirren zu lassen. Am Ende darf Heino unter frenetischem Jubel des Publikums 'Am Brunnen vor dem Tore' anstimmen.

Erst beim dritten Anlauf gelingt es mir, mich bewußtlos zu schlagen. Der Rest verschwimmt in gnädiger Dunkelheit...