Mittwoch, Juli 26, 2006

Heute vor 50 Jahren

Am 26. Juli 1956 wird der im 19. Jahrhundert gebaute Suezkanal durch den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser verstaatlicht. Vordergründig soll dadurch der Bau des Assuan-Staudamms finanziert werden. Tatsächlich ist dieser Schritt aber eine weitere Maßnahme im Rahmen der gleichzeitig nationalistischen wie panarabischen Politik Ägyptens, denn die Verstaatlichung ist eine wohlkalkulierte Provokation Englands und Frankreichs und wird dort auch so verstanden- die Suezkrise nimmt ihren Lauf. Es gibt eine Reihe von Gründen für das Eingreifen der beiden europäischen Staaten:
  • der Kanal ist äußerst lukrativ. Die Konzession für seine Nutzung liegt in den Händen einer französischen Gesellschaft; 44 Prozent von deren Anteilen sind wiederum im Besitz britischer Banken und Aktionäre. Die zugestandene Ent- schädigung der Anleger kann den Verlust einer der wichtigsten Handelsrouten der Welt nicht aufwiegen.
  • der Kanal ist von enormer strategischer Bedeutung. Nicht nur das zunehmend unentbehrliche arabische Öl wird über ihn verschifft; er ist auch das Nadelöhr, das Waren- und Truppentransporte zwischen den englischen und französischen Kolonien im Fernen Osten und ihren jeweiligen Mutterländern erheblich verkürzt.
  • sowohl England als auch Frankreich gleiten die Kolonien aus den Händen: England verliert 1947 das als 'Kronjuwel' betrachtete Indien, Frankreich erleidet 1954 in Indochina (dem späteren Vietnam) bei der Schlacht von Dien Bien Phu eine traumatische Niederlage gegen die vermeintlich weit unterlegene Unabhängigkeitsbewegung der Viet Minh. Eine erneute Demütigung durch die 'Wegnahme' des Kanals und die damit verbundene Signalwirkung für die unterdrückten Kolonialvölker will sich keiner der beiden Staaten leisten, zumal das islamische Französisch-Nordafrika bereits am Anfang eines blutigen Unabhängigkeitskrieges steht.
Nachdem israelischen Schiffen die Nutzung des Kanals verboten wird und ägyptisch besetzten Gazastreifen aus immer häufiger Guerilla-Angriffe auf den jüdischen Staat geführt werden, bilden England, Frankreich und Israel eine geheime Allianz: Israel soll mit französischen und britischen Waffen in Ägypten einmarschieren, um den Europäern den Vorwand für eine Intervention und die Stationierung einer 'Friedenstruppe' am Suez-Kanal zu liefern.
Die Invasion beginnt am 29. Oktober 1956. Nachdem Nasser den mit inakzeptablen Bedingungen verbundenen französisch-englischen Plan für eine Waffenruhe erwartungsgemäß ablehnt, greifen die beiden Staaten aktiv in die Kämpfe ein. Mitte November ist der Suezkanal in europäischer Hand und Ägypten geschlagen. Für die langfristige Sicherung der Eroberungen wäre nun die Unterstützung der USA nötig, doch ein solches Engagement kommt für die dem europäischen Kolonialgebaren ohnehin kritisch gegenüber stehenden Amerikaner nicht in Frage: zum einen bemühen sich beide Supermächte vor dem Hintegrund des Kalten Krieges um ein gutes Verhältnis zu den ehemaligen Kolonial-Staaten der Dritten Welt. Die Unterstützung eines solchen klar imperialistisch motivierten Plans würde dem Image der Vereinigten Staaten erheblich schaden, zumal der Kolonialis- mus-Vorwurf eines der sowjetischen Hauptargumente im Wettstreit der Systeme bildet.
Zum anderen solidarisiert sich die Sowjetunion zunehmend mit Ägypten und droht sogar mit einem militärischen Eingreifen; eine klare Positionierung der USA zu Ungunsten des nordafrikanischen Landes könnte daher eine erhebliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten nach sich ziehen und im Extremfall den Kalten Krieg heiß werden lassen.
So gerät die Suezkrise trotz des militärischen Erfolges zum Fiasko für Großbritannien und Frankreich und bewirkt gerade das, was man eigentlich verhindern wollte:
  • die Intervention wird von der UNO offiziell verurteilt; durch internationalen Druck werden die europäischen Einheiten in Ägypten zum Abzug gezwungen und Europa verliert jeglichen Einfluß auf den Kanal.
  • die politische Schlappe symbolisiert den Abstieg Englands von der Welt- zu einer Mittelmacht wie kaum ein anderes Ereignis nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
  • die Demütigung Frankreichs macht Nasser zur Integra- tionsfigur für die nordafrikanischen Kolonialvölker und wird vor allem in Algerien zum Fanal für einen Befreiungskampf, der auf beiden Seiten mit menschenverachtender Härte geführt wird.