Freitag, September 15, 2006

Abt. Hexenwahn

Es gibt zwei verbreitete Fehleinschätzungen bezüglich der Hexen- verfolgung:
  • die Hexenverfolgung war eine Erscheinung des Mittelalters
  • die treibende Kraft hinter all der Folter und den Hinrichtungen war die Kirche
Beides ist so nicht richtig. Vermeintliche Hexen wurden zwar zu allen Zeiten verfolgt, das mit dem Begriff Hexenwahn assoziierte Phänomen setzte aber erst im 15. Jahrhundert und damit an der Schwelle des Mittelalters zur Neuzeit ein. Seinen Höhepunkt erreichte es in den Jahren zwischen 1550 und 1650- also in der Zeit, in der Shakespeare seine Dramen schrieb, das Mikroskop erfunden wurde und Europa die Neue Welt besiedelte. Anna Göldin, die nach Stand der Forschung die letzte offiziell zum Tode verurteilte Hexe auf europäischem Boden war, starb 1782 im schweizer Glarus durch Enthauptung.
Daß sich die Kirche in dieser ganz Mittel- und Westeuropa umspannenden Hetzjagd mehr als unrühmlich verhalten hat, ist unbestritten: Sie schuf die theologischen Rahmenbedingungen, durch die die kollektive Hysterie möglich wurde. Falsch wäre es allerdings, ihr die alleinige Schuld für die Exzesse anzulasten. Neueste Unter- suchungen belegen klar, daß der Wunsch nach einer Verfolgung von angeblich mit dem Teufel im Bunde stehenden Personen nicht hauptsächlich vom Klerus ausging. Die diesbezüglich vielgescholtene Inquisition befaßte sich primär mit Ketzern, also Abweichlern innerhalb der Kirche und weniger mit Menschen, denen man die völlige Abwendung vom christlichen Glauben unterstellte. Tatsächlich fielen die Hexenprozesse normalerweise in den Kompetenzbereich der weltlichen Justiz und waren Ausdruck einer in der breiten Bevölkerung der Zeit weit verbreiteten Paranoia, die ihren Niederschlag im offiziellen Straftatbestand der Zauberei fand.
Um zu verstehen, wie es zu dieser Paranoia kam, die viele Menschen an eine gigantische und allgegenwärtige Verschwörung von Teufelsan- betern glauben ließ, muß man sich die Lebenswelt der frühen Neuzeit vor Augen führen. Zum einen handelt es sich um eine Periode tiefer Verunsicherung. Die Reformation hatte das mehr als tausend Jahre alte Glaubensmonopol der katholischen Kirche ausgehebelt, eine ganze Reihe von Kriegen bis hin zum wahrhaft apokalyptischen Dreißigjährigen Krieg, der ganze Landstriche verwüstete und mit drei bis vier Millionen Toten eine aus damaliger Sicht unglaublich hohe Zahl an Opfern forderte, war die Folge. Die Entdeckung Amerikas erschütterte die mittelalterliche TO-Vorstellung, in der Jerusalem den Nabel und das Kap Finisterre das Ende der Welt bildete, nachhaltig. Die feudalen Strukturen, seit vielen Jahrhunderten stabile Grundlage der europäischen Reiche, brökelten und wichen den ersten Gehversuchen moderner Staatlichkeit.
Zum anderen sorgte die sogenannte 'Kleine Eiszeit', eine vermutlich durch verringerte Sonnen- und erhöhte Vulkanaktivität ausgelöste kalte Klimaperiode zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, für Mißernten, extreme Winter und höchst ungewöhnliche Wetterphäno- mene: zeitgenössische Quellen belegen, daß es manchmal selbt im Flachland bis weit in den Juni zu starkem Schneefall kommen konnte. Die Folge waren Hungersnöte, die man nicht einfach als schicksalsgegeben hinzunehmen bereit war - schließlich 'wußte' man um die Kräfte der Hexen, denen der Teufel sogar über das Wetter Macht verliehen hatte.
Die Kombination aus allgemeiner Verunsicherung und mißlichen Lebensumständen schuf eine Atmosphäre, in der die Furcht vor einer Verzauberung schließlich zur Wahnvorstellung wurde. Je stärker die Menschen hinter jedem verstauchten Knöchel, hinter jedem Regenguß zur Erntezeit das Werk einer Hexe vermuteten, desto mehr kam es zu Denunziationen und Prozessen samt Schuldspruch, was wiederum den Eindruck von einer wahren 'Hexenepidemie' zu bestätigen schien. Ein Teufelskreis, im wahrsten Sinne des Wortes.

Wie bin ich noch gleich auf das Thema gekommen? Ach so- ich bin zufällig auf eine Seite gestoßen, die den Malleus Maleficarum online stellt. Dieses Buch, auch bekannt als der Hexenhammer, wurde 1484 von einem Dominikaner namens Heinrich Institoris verfaßt und bildete gewissermaßen die ideologische Grundlage der Hexenverfol- gung. Wenn Ihr mir versprecht, hinterher niemanden anzuzünden, könnt Ihr es Euch hier durchlesen.