Montag, Februar 26, 2007

Freakviertel Friedrichstadt

Die seit August andauernde Quasi-Normalität - es beschränkt sich im Großen und Ganzen auf den ganz alltäglichen Wahnsinn - wurde dieses Wochenende unterbrochen, und zwar durch eine Nacht der "Das glaubt keine Sau!"-Kategorie auf der nach oben hin offenen Freakviertel-Skala.
Gegen 1 Uhr: Vor dem Haus haben sich fünf oder sechs junge Männer mit kurzen Haaren und völkischer Gesinnung versammelt. Warum, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben. Einer (das Alpha- Männchen?) beginnt aus unbekannten Gründen, lautstark lange Passagen aus den Reden Joseph Goebbels' (!) zu zitieren. Die meisterhafte Imitation des Propaganda-Ministers, bühnenreif und ohne eine Spur von Ironie vorgetragen, verraten dem Kenner Talent und fleißiges Üben. Unartikuliertes Gröhlen und "Dynamo! Dynamo!"-Rufe der restlichen Gruppe bilden dabei die akustische Hintergrundkulisse des nächtlichen Schauspiels. Nach gut fünf Minuten endet der Spuk so plötzlich, wie er begonnen hat.
Gegen 2 Uhr: in der Straße erwacht eine Auto-Alarmanlage zum Leben. Der Lautstärke nach zu urteilen, wurde dieses Modell früher in der Seefahrt eingesetzt, um Schiffskollisionen bei dichtem Nebel zu verhindern. Glück für den Besitzer: sein Schlafzimmer liegt offen- sichtlich auf der dem Hinterhof zugewandten Seite des Hauses, so daß er während der folgenden zehn Minuten nicht unnötig von dem infernalischen Lärm geweckt wird.
Gegen 5 Uhr: Stimmengewirr, Grunzen und das Scharren von Füßen kündigen den Beginn einer Schlägerei an. Die Beteiligten sind auch ohne Blick durch's Fenster leicht zu identifizieren: die raue, sich überschlagende Frauenstimme, die der ganzen Szene erst das authentische Freakviertel-Gepräge verleiht, ist in der Friedrichstadt wohl bekannt. Sie gehört einer schwer alkoholkranken Frau undefinierbaren Alters, die stets mit zwei Männern in gleichermaßen desolatem Zustand die Supermärkte der Gegend terrorisiert. Dort werden dann Angestellte angepöbelt und die Kundschaft durch gänzlich hemmungsloses Geschrei belästigt. Offensichtlich sind die beiden Herren aneinander geraten, der Streit ist aber nach wenigen Minuten (nach Punkten oder K.O., wer vermag das zu sagen?) beendet.