Dienstag, August 14, 2007

Heute vor fünf Jahren: zweiter Tag der Flut

Wir erinnern uns: den zweiten Tag der Flut - die Menschen aus dem Erzgebirge würden es den dritten nennen, aber in Dresden tritt die Weißeritz erst am Morgen des 13. über die Ufer - verbringe ich noch im Ländle und hüte die Katze meiner Eltern. Von persönlichen Erfahrungen kann ich also heute nicht berichten; ich sitze vor dem Fernseher und sehe unzählige nichtssagende Interviews, die sich in einer Endlosschleife mit den Amateuraufnahmen der Flutwelle in Glashütte ablösen. Dazwischen immer wieder Journalisten vor dem Hintergrund des Dresdner Terassenufers, deren Gummistiefel dramaturgisch bestens mit ihren professionell-erschütterten Mienen harmonieren. Und wie so häufig bei wirklich außergewöhnlichen Ereignissen ringen sie um Worte: sämtliche Superlative haben durch inflationären Gebrauch längst ihre Aussagekraft verloren.
In Sachsen gilt für 14 Landkreise Katastrophenalarm. In Dresden werden besonders betroffene bzw. gefährdete Gebiete evakuiert, darunter auch die Friedrichstadt. Zwar entspannt sich dank sinkender Pegelstände die Lage am 'Weißeritz-See', der Teile der Innenstadt bedeckt. Echte Freude kommt darüber jedoch nicht auf, denn die sächsische Landeshauptstadt ist mittlerweile nicht mehr so sehr von Westen, sondern vor allem von Süden her bedroht. Die Moldau, wichtigster Zufluß der Elbe, erreicht an diesem Tag in Prag ihren Scheitelpunkt. 150 Kubikmeter Wasser führt sie normalerweise pro Sekunde mit sich; am Mittwoch, den 14. August 2002 sind es geschätzte 5300 Kubikmeter. Die Prager Altstadt kann weitgehend vor Schäden bewahrt werden. Im örtlichen Zoo nutzt ein Seehund die Gunst der Stunde und büchst aus seinem überfluteten Gehege aus. Er wird später bei Dresden eingefangen, stirbt aber auf dem Rücktransport.
Klar ist: was heute die Moldau hinabfließt, gelangt morgen zwangsläufig in die Elbe. Um 6 Uhr werden in Dresden/Laubegast 6,92 Meter gemessen, knapp eineinhalb Meter mehr als vor drei Tagen, aber das ist nur das Wasser aus den kleineren Flüssen in Sachsen und Nordtschechien. Die eigentliche Welle bewegt sich in diesen Stunden unaufhaltsam nach Norden und wird die Stadt in den kommenden Tagen treffen. Die Aufregung läßt die Gerüchteküche brodeln: im Laufe des Tages wird im Radio gemeldet, die Talsperre Malter sei gebrochen. Gott sei Dank handelt es sich dabei um eine Ente, denn anderenfalls hätte sich eine Wand von knapp zehn Millionen Kubikmetern Wasser auf Dresden zugewälzt und alles in ihrer Bahn mit sich gerissen. Die unmittelbare Reaktion der Menschen auf die Falschmeldung fällt unterschiedlich aus: die Intelligenten fliehen aus dem vermeintlichen Gefahrenbereich. Andere werden von einem meiner Freunde dabei beobachtet, wie sie in Richtung Uferböschung stürzen - gucken, wie das Wasser kommt...
Die Regenmenge, die zwischen Sonntag und Dienstag auf Sachsen niederging, entspricht stellenweise 373% des Monatsdurchschnitts, oder anders ausgedrückt: in diesen drei Tagen regnete es so viel wie sonst in gut drei Monaten. Doch nun wird das Wetter allmählich wieder besser, und ab Ende der Woche ist der Himmel strahlend blau und die Temperatur hochsommerlich. Entlang der erzgebirgischen Fluß- und Bachläufe wird das ganze Ausmaß der Verwüstungen sichtbar. Gleise sind unterspült, Straßen hat es weggerissen, Brücken existieren nicht mehr. Viele Häuser sind beschädigt; in den Wohnzimmern steht knietief stinkender Schlamm, der in der einsetzenden Hitze zu faulen beginnt. Dort beginnen die Menschen jetzt, mit Schneeschaufeln und anderen behelfsmäßigen Mitteln aufzuräumen. Oft sind sie dabei weitgehend auf sich allein gestellt, denn die Hilfskräfte sind völlig überfordert, können manche Ortschaften zunächst nicht einmal erreichen oder werden dort eingesetzt, wo akute Gefahr droht.

Schlottwitz. Das Bild wurde von Harald Weber geschossen und in der Wikipedia unter einer GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.
An Urlaub ist da natürlich nicht mehr zu denken - meine Eltern beschließen, am 15. August die Heimfahrt anzutreten. Darüber bin ich froh, denn so kann ich endlich den Fernsehsessel verlassen und mich auf den Weg nach Dresden machen. Auch wir werden morgen die Vogelperspektive der Statistiken und großen Zusammenhänge hinter uns lassen und in meinen kleinen Ausschnitt der Jahrhun- dertflut 2002 eintauchen.