Montag, Januar 23, 2006

Junge Menschen und ihre Träume

Aus aktuellem Anlaß.

Ich sage Euch, meine Freunde: trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten, die sich uns in diesen Tagen entgegenstellen, habe ich immer noch einen Traum. Es ist ein Traum, der tief verwurzelt ist im Glauben, daß Bildung die von unserem Geist gesetzten Grenzen zu sprengen vermag, und daß weitergegeben werden muß, was die Pioniere und Denker vergangener Jahrtausende der Dunkelheit entrissen haben.

Ich habe einen Traum, daß sich diese Universität eines Tages erheben und ihre Bibliothek der Bestimmung zuführen wird, zu der sie einst ersonnen wurde: ein Hort des Wissens und der Gelehrtheit, ein Torwächter vor der dumpfen Einfalt des Pöbels.

Ich habe einen Traum, daß meine Kinder Hand in Hand mit den Kindern anderer Studenten vom Empfangsbereich in den großen Lesesaal hinabblicken und sehen, wie sich blondierte Frauen ihre Schuhe mit den entsetzlich lauten Absätzen von den Füßen streifen und die Stufen zum Ausgang nicht eher erklimmen dürfen, als sie sie bis zum letzten Lederriemen aufgegessen haben.

Ich habe einen Traum, daß oben auf den Hügeln des Weißen Hirsches ein Leuchtfeuer entzündet wird sichtbar für alle Bibliotheken dieser großen Nation, bestehend aus klingelnden Mobiltelefonen und zirpenden Notebooks, deren Stummschaltung der Vergessenheit anheim gefallen ist.

Ich habe einen Traum, daß jene, die im Freihandbereich ihre Studien in Gruppen abgleichen und so all die umsitzenden Kommilitonen an ihren Fortschritten teilhaben lassen, zu einer Telefonzelle geführt werden und in dieser nicht weniger als eine Stunde gemeinsam verharren müssen, während sie mit dem sagenumwobenen Niederfrequenz-Ton beschallt werden, der zum augenblicklichen Verlust der Kontrolle über die Schließmuskeln führt.

Das ist meine Hoffnung. Mit diesem Vertrauen werde ich zurückkehren zum Zelleschen Weg, und eines Tages werden Historiker und Ingeneure, Pädagogen und Physiker, Juristen und Soziologen ihren Blick zum Himmel erheben und gemeinsam mit einer Stimme rufen, daß es von den Klüften der sächsischen Schweiz bis zu den Wäldern des Erzgebirges widerhallt: "Stille. Stille! Dem Himmel sei Dank, endlich Stille!"