Samstag, Juni 17, 2006

Hitler und das Rauchverbot in Kneipen

Um die bei diesem Thema obligatorischen 'Angaben zur Person' gleich vorweg zu nehmen: ich bin Nichtraucher- inzwischen. Geraucht habe ich zehn Jahre, in Spitzenzeiten im Schnitt eineinhalb Schachteln am Tag. Die Behauptung, jederzeit aufhören zu können, löste bei meinem Gegenüber standardmäßig das mitleidiges Lächeln aus, das einem Süchtigen gebührt (bis zu dem Tag, an dem ich tatsächlich einfach aufgehört habe, ganz ohne Pflästerchen, Kaugummis und Rückfälle). Auch dem Klischee von der ans Bösartige grenzenden Rücksichtslosigkeit der Raucher, die einem Asthmatiker lächelnd die Zigarette im linken Auge ausdrücken, habe ich so gar nicht entsprochen: in Gegenwart von Nichtrauchern habe ich (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nur unter freiem Himmel und mit Sicherheitsabstand geraucht, vor Kindern nie. Meine Kippen habe ich nicht auf die Straße, sondern in den Mülleimer geworfen.
Ob das alles repräsentativ ist- wohl kaum. Entscheidend ist vielmehr, daß damit die gängigen Stereotypen, die, als Diskussionsgrundlage verwendet, das Niveau jeder Debatte im Sturzflug unter die Grasnarbe absenken, in Frage gestellt sind. Könnten sich die Hobby-Agitatoren dieses Landes dazu durchringen, ihren heiligen Zorn zu zügeln, wäre viel für die Versachlichung des Streits getan. Angesichts der emotionalen Aufladung, die das Thema in den letzten Jahren erfahren hat, dürfte das jedoch ein frommer Wunsch bleiben.

Ein Paradebeispiel dafür ist das Titelthema der aktuellen SPIEGEL-Ausgabe. Der Autor Marco Evers führt eine ganze Reihe guter Argumente für eine strengere Tabakpolitik ins Feld: flächendeckend angebrachte Automaten erlauben es Jugendlichen, ohne jede Kontrolle Zigaretten zu kaufen und tragen dadurch erheblich zum niedrigen Einstiegsalter vieler Raucher bei. Die Schadstoffbelastung der Luft ist in Büros, in denen geraucht wird, oft so hoch, daß sie nach den geltenden Arbeitsschutzbestimmungen eigentlich dichtgemacht werden müßten. Das Verbot von Tabakwerbung innerhalb der EU ist eigentlich seit 2003 beschlossene Sache, Deutschland hat sich jedoch bisher im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedstaaten geweigert, dieses Verbot auch anzuerkennen und in ein nationales Gesetz umzusetzen.
Aber statt sich auf solche stichhaltigen Punkte zu beschränken, gleitet der Artikel ab in eine Anhäufung plumper Polemik, rhetorischer Taschenspielertricks und effekthascherischen Statisti- ken. Zwischen den Zeilen ist förmlich herauszulesen, wie sehr sich Evers ob des völlig vorhersehbaren Sturms der Entrüstung in Form von Leserbriefen die Hände reibt: einer, der endlich mal laut sagt, was gesagt werden muß, und verdammt stolz darauf ist. Dabei übersieht er, daß das Ärgernis nicht im Inhalt besteht, sondern in der Form. Sein Werkzeug stammt aus der gleichen Kiste, aus der sich die Redakteure von BILD bedienen, auch wenn er es auf einem sprachlich höheren Niveau zum Einsatz bringt.
Da werden zum Beispiel Gruselgeschichten von Rauchern erzählt, die die Sucht zum nächtlichen Aufstehen und Rauchen zwingt, oder von zwei Schwangeren, die es "gerade noch geschafft" haben, ihre Kinder zu gebären, bevor sie der Lungenkrebs hinweggerafft hat. Und die Nichtraucher? "Für Millionen [...] ist dieser Qualm alltägliche Qual". Kein Wunder, bei diesen drastischen Auswirkungen: Schwindelgefühl, Halsschmerzen, juckende Augen- ein Gefühl, als ob man seinen Kopf eine halbe Stunde in den Ofen steckt, wie eine Betroffene bewegend schildert.
Auch ein gerüttelt Maß an Beleidigungen gehört zum Repertoire des Autors: die Bezeichnung 'Suchtkranke' ist dabei noch die harmloseste. 'Suchtkrank' ist dabei nicht etwa deswegen beleidigend, weil Raucher nicht vom Nikotin abhängig wären, sondern weil man mit diesem Begriff im umgangssprachlichen Gebrauch vor allem Alkoholiker und Fixer assoziiert- Menschen, deren Sucht einen starken Einfluß auf ihre Persönlichkeit hat und die deswegen unberechenbar und potentiell gefährlich sind. So jemandem begegnet man lieber nicht, und wenn doch, dann für gewöhnlich mit einem Gefühl, das sich zu gleichen Teilen aus Mitleid und Verachtung zusammensetzt. Es paßt ins Bild, daß eine Politikerin von den Grünen vor nicht allzu langer Zeit ernsthaft gefordert hat, es müsse staatlich finanzierte Antiaggressions-Trainings für Raucher auf Entzug geben. Mütter, scheucht Eure Kinder ins Haus!
Feige, aber clever werden justitiable Behauptungen nur indirekt und in Form von Zitaten irgendwelcher Interviewpartner aufgestellt. Dergestalt werden dann Tabakunternehmen zur Mörderbande, Parla- mentsabgeordnete der "Tabakokratie" Deutschland (!) zu Unbelehr- baren, die am Tod vieler Menschen mitschuldig sind, und Aroma- stoffe mischt die Industrie den Zigaretten bei, weil nur so auch Kinder Lungenzüge machen können.
Der Gipfel ist schlußendlich bei der auf zwei Dritteln einer Seite ausgebreiteten These erreicht, die raucherfreundliche Politik in Deutschland sei als Reflex auf das Dritte Reich zu verstehen. Weil Hitler Nichtraucher war, der in seiner Umgebung den Tabakkonsum strikt untersagte und es überdies gern gesehen hätte, wenn die arische Rasse gänzlich auf Nikotin verzichtet, wurde unter den Nazis eine für damalige Verhältnisse erstaunlich progressive Linie hin zu einem rauchfreien Deutschen Reich gefahren. Das wirke bis heute nach, so Evers, und Rauchen werde daher auch als praktizierter Antifaschismus begriffen. Eine etwas gewagte These in einer Zeit, in der die meisten Leute noch nicht einmal von den Nürnberger Gesetzen wissen, geschweige denn von Propaganda-Kampagnen mit Slogans wie "Die deutsche Frau raucht nicht".

Warum aber bei all der Qual und Entmenschlichung nicht überall rauchfreie Kneipen entstehen, beantwortet mir leider auch der SPIEGEL nicht. Und das, obwohl laut Evers in den Kneipen sämtlicher Länder, in denen in Lokalen gesetzliches Rauchverbot herrscht, der Umsatz deutlich gestiegen sei, weil sich die Leute wieder dorthin "wagen". Aber möglicherweise hat das auch was mit dem Hitler zu tun- was verstehe ich schon davon?