Diejenigen unter Euch, die hier noch nicht so lang mitlesen - setzt Euch; schön, dass Ihr da seid - haben sich vielleicht schon mal gefragt: Warum "Freakviertel" Friedrichstadt? Sooo abgefahren ist es dann auch wieder nicht, was der da beschreibt... Nun, das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren führten Sozialwissenschaftler die Berliner Str. 40 als eines der beeindruckendsten Beispiele dafür an, bis zu welchen Extremen der Mensch bereit, auf andere Menschen zu scheißen; Homo hominem latrinum est. Da flogen regelmäßig leere Glasflaschen direkt aus dem Fenster auf die Straße. Zu jeder Tages- und Nachtzeit hämmerten Bässe teilweise stundenlang in einer solchen Lautstärke durchs Haus, dass ich bei Telefonaten meinen Ge- sprächspartner manchmal nicht mehr verstanden habe. Im Treppen- haus lag Müll, aus den Fenstern wurden zum Spaß Obszönitäten gegröhlt.
Das war, wie gesagt, früher. Inzwischen beschränkt es sich weit- gehend auf den ganz alltäglichen Wahnsinn, den man überall beobachten kann, wo viele Menschen auf einem Haufen zusam- menleben. Woher dieser Wandel kam? Das ist nicht mit abschließender Sicherheit zu sagen; ich habe da aber eine Theorie. An 70 % der damaligen Ruhestörungen war eine ganz bestimmte Person aus dem Haus beteiligt, zum guten Teil als Hauptverursacher. Vor knapp zwei Jahren war diese Person plötzlich nicht mehr da (Rausgeklagt? Knast?), und die Situation normalisierte sich rasch. Auf einmal konnte man mit einer gewissen Sicherheit von ungestörter Nachtruhe ausgehen und wagte sogar wieder, das Auto direkt vor dem Haus abzustellen. Heute mittag habe ich ihn zu meinem Entsetzen wieder im Hausflur getroffen und hoffe seitdem inständig, dass er nur irgendjemand besucht. Leider sind aber seit letzter Woche wieder fast täglich Bässe zu hören, und seit Freitag wurde an jedem Abend zwischen 23 Uhr und 1 Uhr ein großkalibriger Böller auf die Straße geworfen (ehedem ein Klassiker im Freakviertel).
Nun, bislang ist es im Vergleich zu damals noch recht harmlos. Wenn es aber wieder so eskaliert, bin ich hier raus - Ciao, Friedrichstadt. Dabei hatte ich unmittelbar vor meiner Begegnung mit ihm ein richtig schönes Erlebnis: In der Wohnung nebenan wohnt ein Rentner-Ehe- paar, mit dem ich ab und zu ein paar Sätze Smalltalk führe. Daher wissen sie, dass ich bis vor kurzem über meiner Magisterarbeit gebrütet habe. Und vorher auf der Straße haben sie mich ange- sprochen: "Darf man gratulieren?" - selbstverständlich durfte man. Wir haben uns dann noch dermaßen nett unterhalten, wie ich es im Freakviertel nur höchst selten erlebt habe. So war das immer in der Berliner Str. 40: Irrsinn und Normalität leben ebenso Tür an Tür wie Freundlichkeit und arschiges Benehmen. Und während ich diese Zeilen schreibe, wummern die Bässe...
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